Vom Vergleich zur Verflechtung: Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert

Vom Vergleich zur Verflechtung: Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert

Veranstalter
Prof. Dr. Jörn Leonhard / Dr. Barbara Schmitz, Frankreich-Zentrum der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltungsort
Grosser Saal, Haus zur Lieben Hand, Löwenstr. 16
Ort
Freiburg im Breisgau
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.07.2012 - 06.07.2012
Von
Frankreich-Zentrum

Tagung des Frankreich-Zentrums der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg anläßlich des 50. Jubiläums des Élysée-Vertrags zwischen Deutschland und Frankreich

Der Beziehung zwischen Frankreich und Deutschland kommt in der Geschichte Europas eine herausragende Bedeutung zu. Sie äußerte sich über Jahrhunderte als eine vielfältig verwobene Konflikt- und Beziehungsgeschichte und mündete im langen 19. und im kurzen 20. Jahrhundert in eine von Kriegen geprägten Gewalt- und Eskalationsgeschichte. Zugleich aber gab es immer auch die gegenseitige Wahrnehmung als Vorbild und Motor progressiver Entwicklung – von den Wirkungen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Institutionen auf Deutschland bis zur Wahrnehmung des preußisch-deutschen Bildungssystems am Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Seit der Katastrophengeschichte des deutschen Nationalstaats im 20. Jahrhundert und der Erfahrung von zwei Weltkriegen trat an die Stelle von politischer Rivalität, Hegemonialstreben und kriegerischen Konflikten eine in ihren Wirkungen und angesichts der historischen Belastungen einzigartige neue Phase intensivierter Kooperation im Zeichen einer geschichtspolitisch akzentuierten Aussöhnung. Zugleich vollzog sich die Überwindung des historischen Konflikts zwischen Frankreich und Deutschland nach 1945 vor einem komplexen politischen und internationalen Hintergrund. Dazu zählten die traumatischen Erfahrungen des Nationalsozialismus in Deutschland und der Vichy-Vergangenheit in Frankreich, dann nach 1945 zumal die Bedingungen des Kalten Krieges, der französischen Dekolonisation, der deutschen Teilung sowie der europäischen Integration.

Mit dem am 22. Januar 1963 in Paris unterzeichneten Élysée-Vertrag zwischen Präsident de Gaulle und Bundeskanzler Adenauer wurde eine erste, frühe Phase der neuen Beziehung zwischen Frankreich und der Bundesrepublik nach 1945 symbolisch hervorgehoben. Der Élysée-Vertrag war in diesem Sinne Ausdruck der nach dem Zweiten Weltkrieg und den Erfahrungen des frühen 20. Jahrhunderts drängend gewordenen Frage nach den Handlungsspielräumen beider Länder. Die Kooperation im Zeichen der historischen Aussöhnung fand in den beiden Persönlichkeiten von Adenauer und de Gaulle als Repräsentanten ihrer Generation ihren sichtbaren Ausdruck.

Der konkrete Inhalt der damaligen Vereinbarungen – von der Etablierung einer ständigen Konsultation und dauerhaften Zusammenarbeit in der Außen-, Verteidigungs-, Wirtschafts-, Entwicklungs-, Kulturpolitik sowie vor allem in der Schul- und Jugendpolitik, der Vereinbarung regelmäßiger Treffen der Staats- und Regierungschefs sowie der Minister für Äußeres, Verteidigung und Jugendfragen bis hin zur Gründung des Deutsch-Französisches Jugendwerks – markierte eine Sonderbeziehung zwischen beiden Staaten. Die symbolische Ergänzung des Vertrages am 22. Januar 1988 durch François Mitterand und Helmut Kohl in einem Zusatzprotokoll sah die Errichtung eines deutsch-französischen Rates für Verteidigung und Sicherheit sowie eines Finanz- und Wirtschaftsrates zur engeren Koordination dieser Politikbereiche zwischen beiden Ländern vor. Die geradezu ikonischen Bilder von de Gaulle und Adenauer in der Kathedrale von Reims ergänzte nun das Treffen Mitterands und Kohls in Verdun. Doch verdeckten diese geschichtspolitischen Akte eher die Spannung zwischen der betonten bilateralen Sonderbeziehung zwischen Frankreich und der Bundesrepublik einerseits und alternativen Positionierungen andererseits – der transatlantischen Orientierung sowie der europäischen Integration –, die bis heute nichts an Relevanz verloren haben.

Die geplante Tagung nimmt das Jubiläum des Élysée-Vertrages 2013 zum Anlaß, die komplexen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland im 20. Jahrhundert aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu untersuchen und so einer Bilanz zu unterziehen. Am Beginn des 21. Jahrhunderts und mehr als 20 Jahre nach der deutschen Einheit ist zu fragen, welchen besonderen Stellenwert die deutsch-französischen Beziehungen in einer im Vergleich zu 1963 tiefgreifend veränderten Umwelt in Europa und der Welt noch beanspruchen können. Nach dem Ende des Kalten Krieges, angesichts der Globalisierung und der immer drängenderen Frage nach den Grenzen der europäischen Integration erscheint diese Frage drängend und aktuell.

Methodisch geht es um die Verknüpfung komparativer Fragestellungen mit der Perspektive einer Verflechtungsgeschichte: Konzentriert sich der Vergleich auf Konvergenzen und Divergenzen zwischen den Staaten, politischen Systemen und Gesellschaften, so fragt die „histoire croisée“ nach Feldern der Interrelation und Verflechtung. Um eine bloße Addition isolierter Einzeluntersuchungen zu verhindern, sollen ausgewiesene deutsche und französische Experten gewonnen werden, um wo immer möglich diese beiden Perspektiven von Vergleich und Verflechtung für verschiedene Fragestellungen fruchtbar zu machen. Dabei stehen zunächst die historischen Ausgangsbedingungen und Erfahrungen Frankreichs und Deutschlands im 20. Jahrhundert, zweitens der Blick auf die Etablierung, Inszenierung und Kommunikation der besonderen deutsch-französischen Beziehungen im konkreten Kontext des Élysée-Vertrages 1963 sowie schließlich drittens die Entwicklung des Verhältnisses seit den 1960er Jahren vor dem Hintergrund bestimmter, mit beiden Ländern verbundenen Modellvorstellungen und besonderer historischer Scharniere im Zentrum.

Programm

Donnerstag, 5. Juli 2012
14 Uhr: Jörn Leonhard (Freiburg), Einführung - Nationen und Emotionen nach dem Zeitalter der Extreme? Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert

I. Historische Kontexte: Ausgangsbedingungen und Wandlungsprozesse

Moderator der Sektion: Rolf G. Renner (Freiburg)
14.30 Uhr: Sylvain Schirmann (Straßburg), Von der Konfliktgeschichte zur Kooperation? – Frankreich und Deutschland in der Zwischenkriegszeit
15.15 Uhr: Corine Defrance (Berlin/Paris), Amnesie und Gedächtnis – Die Hypotheken der Vergangenheit in Frankreich und Deutschland nach 1945 im Vergleich
16.00 Uhr: Andreas Wilkens (Metz), Entscheidung für Europa. Deutsche und französische Optionen in den 1950er Jahren
16.45 Uhr: Pause

17.15 Uhr: Jürgen Elvert (Köln), Nationalstaat oder Supranationalität – Europa als Referenzpunkt für Frankreich und Deutschland
18.00 Uhr: Rainer Hudemann (Paris/Saarbrücken), Das Trauma der Dekolonisation und die Entscheidung für die europäische Integration in Frankreich
18.45: Abschlussrésumé zur ersten Sektion (Rolf G. Renner)
19.00 Uhr: Pause

19.30 Uhr: Abendvortrag
Grußwort des Rektors der Albert-Ludwigs-Universität
Thomas Raithel (München), Frankreich und Deutschland. Entwicklungen des nationalgeschichtlichen Paradigmas im 20. Jahrhundert

Freitag, 6. Juli 2012
9 Uhr: Begrüßung (Jörn Leonhard, Michael Werner)

II. Eine institutionalisierte Freundschaft? Der Elysée-Vertrag als Begründung der Achse Paris-Bonn/Berlin

Moderator der Sektion: Michael Werner (Paris)
9:15 Uhr: Hélène Miard-Delacroix (Paris), Kalkulation und Emotion – Der Élysée-Vertrag vom Januar 1963
10 Uhr: Matthias Waechter (Nizza), Die Suggestion der politischen Paare – Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt, François Mitterand und Helmut Kohl
10.45 Uhr: Abschlussrésumé zur zweiten Sektion (Michael Werner)
11.00 Uhr: Pause

III. Elysée et après? Konvergenz, Divergenz und der Wandel der Modelle

Moderator der Sektion: Joseph Jurt (Basel)
11.30 Uhr: Udo Kempf (Freiburg), Der Sozialstaat in Frankreich und Deutschland
12.15 Uhr: Christian Wenkel (München/Paris), Frankreich und die deutsche Einheit
13.00 Uhr: Dietmar Hüser (Kassel), Wertewandel und Protestkulturen in Frankreich und Deutschland
13.45 Uhr: Abschlussrésumé zur dritten Sektion (Joseph Jurt) und Abschlussdiskussion (moderiert von Jörn Leonhard)
14.15 Uhr: Ende der Tagung

Kontakt

Barbara Schmitz

Frankreich-Zentrum der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Postfach, 79085 Freiburg
0761/203-2008
0761/203-2006

barbara.schmitz@fz.uni-freiburg.de

http://www.fz.uni-freiburg.de/veranstaltungen/index.html